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Wenn ich ein Buch aufschlage, das über die unendlich lang scheinende Geschichte der Druckschriften berichtet, so erfasst mich wie ein Schauer, welchen Wandlungen diese Geschichte unterworfen ist. Der Wechsel der Standpunkte, ihrer Menschen und ihrer Ergebnisse. Und es gelingt mir nicht ein präzises Bild davon in Worte zu fassen, wenn nicht das von Wellen, ihrem auf und ab, dem Aufschlagen von Gischt an den Felsen einer Küste oder dem Abflauen in ruhiger See. Auch ich habe die Gewissheit, dass schon in meinem kurzen Leben eine Phase dieser geschichtlichen Veränderung auf und ab gegangen ist. Die weißen Schaumkronen im Aufkommen der digitalen Schriften und der hitzigen Diskussionen um sie sind verschwunden, ruhig aufgenommen im ruhigen Ab- und Zufluss der Geschichte der Buchstaben.
Und doch erkenne ich in der Ferne, dass ich dabei auch der Beobachter meines eigenen Lebens bin, und ich frage mich, ob das Schlagen und Beruhigen der Wellen, der sanft auf ein bestimmtes Ziel zufließende Strom, nicht doch nur der Strom meiner eigenen Entwicklung ist.
Ich erinnere mich noch an die Zeit vor dem vehementen Ausbruchs der völligen digitalen Periode. Meine ersten Buchstaben, deren Nachahmung ich anstrebte, waren die einer Garamond-Kursiv eines Paris-Bildbandes aus den Bücherregalen meines Zuhauses. Nicht dass mich dessen Bilder überhaupt nicht interessierten, wichtiger aber waren mir die kleinen schwarzen Zeichen. Ich erkannte in ihnen die schwungvollen Rundungen, die etwas von der Form eines Frauenbeins besaßen oder den Kurven eines Rockes der im Wind flattert. Auf den großen weißen Seiten auf dem matt bestrichenen Papier waren sie majestätisch anzusehen. Die Kapitel dieses Buches hatten zu Anfangs nur diese weißen Seiten mit ein oder zwei Wörtern darauf. Denn der schönste Buchstabe kann nicht zur Entfaltung kommen ohne den Weißraum um ihn herum!
Die Buchstaben hatten für mich etwas Ewiges. Sie waren schließlich gedruckt. Die Schwierigkeit, die es darstellte, sie aus dem weißen Papier zu entheben und sie für meine Zwecke zu verwenden war reizvoll. Vielleicht hatte es auch etwas von einem Diebstahl: wie jemand der sich, mit der Fackel in der Hand, in eine heilige Grabkammer schleicht um das kostbarste zu entwenden. Wie konnte man einen gedruckten Buchstaben entwenden? So schleppte ich dieses überdimensionale, übrigens durchaus darüber hinaus nicht besonders kostbare Werk in die Reproduktionskammer der Universität. Ich machte Photos von Buchstaben. Das war ein köstlicher Akt. Die ribbeligen Kanten der vergrößerten Gebilde verliehen dem „Diebstahl“ erst ihre Würze! Das photographische Papier war elfenbeinfarbig, das Schwarz tief.
Ich hatte die Idee, aus dieser Schrift ein Wort zu setzen. se Vouer sollte der Titel einiger Seiten eines gedachten Modemagazins sein. Hinter dem ‘V’ gab es einen größeren Abstand, der Buchstabe war kaum unterschnitten, wie es damals in vielen Bleisatz-Versionen dieses Schriftklassikers der Fall war. Ich glaube diese Buchstabenkombination hat mich bleibend geprägt. Ich habe mir große Mühe gegeben, den Abstand in meinem Wort exakt so wiederzugeben wie ich ihn im Original vorfand. Denn es erschien mir fast ein Frevel dieses kleine geneigte ‘o’ so unter den Ast des ‘V’s zu klemmen, wie es heute leider nicht mehr anders anzutreffen ist. Mein kleines Wort hatte „Luft zu atmen“, königlich wie das zart und elegant auslaufende ‘V’, – dieser symbolträchtige Letter, wie ich Jahre später bestätigt wissen sollte! – den Raum einnahm. Die schmale Zeichnung der Buchstabenkörper war im übrigen akzentuiert durch einen großzügigen Rhythmus, jeder Letter hatte seinen gebührlichen Raum ohne aber gesperrt zu wirken, wie die Typographen sagen, das bedeutet ohne den zusätzlich zwischen den Lettern zugefügten Zwischenraum. Ich fühlte mich in meinem Vorhaben mehr als bestätigt. Dieses Wort war wunderschön, es hatte meine Erwartungen nicht enttäuscht. Es war etwas ganz besonderes, meine Liebe zu den eleganten Buchstaben war entflammt. In der Mitte einer weißen Seite, wieder im ganzen reproduziert auf dem photographischen Papier wirkte es herrlich! Das war mein erstes Abenteuer und ich muss sagen, dass bis heute die kursiven Schriften eine große Anziehungskraft auf mich ausüben. Dabei eine Garamond als erstes Modell zu haben war sicherlich ein guter Beginn.
Schon bald bemerkte ich, dass eine schöne Frau auf einem Bild, ein schönes Kleid, zusammen mit meinen Buchstaben eine schöne Einheit hervorzurufen vermochten.
Presto mi sono reso conto che una bella donna, in un vestito splendido, insieme alle mie lettere erano capace di evocare un’unità armoniosa.
Mit den Jahren verliert man leider etwas von der Ehrfurcht, mit der ich damals vor einem Werbeplakat, vielleicht in Schwarz-Weiß, stehen konnte, das eine wunderschöne Frau zeigte, deren Profil mit den weißen Linien der negativ eingespiegelten Buchstaben die Töne des Papiers in ein sanftes Wechselspiel tauchte. Was mir heute als allzu selbstverständlich erscheint war damals noch das unerhörte Treffen zweier unterschiedlicher Ebenen, die vor meinen Augen zu einem Bild verschmolzen. Das Abbild der Natur (in seiner nobelsten und feinsten Ausprägung!) zusammen mit den gezeichneten Kanten und Kurven, die die Buchstaben hervorrufen. Ich war noch weit davon entfernt zu verstehen, wer diesen Buchstaben gezeichnet hatte, wie er entworfen wurde. Ich fand mich damit ab – wie übrigens wohl die meisten Menschen –, dass er einfach da war. Seine selbstverständliche Gültigkeit in genau dieser Form und in keiner anderen war atemberaubend. Ich ging herum, oder fuhr mit dem Fahrrad durch Paris, und was ich machte, waren Photos von Photos mit Buchstaben! Es erschien mir und erscheint mir heute noch als eine höhere Ebene, das Bild mit der Schrift vereinigt zu sehen. Jede Art von Dreidimensionalität erschien mir überflüssig, ja sogar entwertend. Jeder Buchstabe ist ein zweidimensionales Gebilde, ein Nicht-Gegenstand, eine positiv oder negativ herausgeschnittene, gelöste Form. Bis heute habe ich eine ganz natürliche Abneigung dagegen, sie mit einer Farbe auszustatten. Ein Buchstabe ist weiß oder schwarz.
Una lettera per me è più che altro la negazione della terza dimensione, è un dare forma al pensiero, alla passione, senza colore, senza profondità nel senso materiale. Ho una rilutanza che mi sembra naturale a darle dei colori. Una lettera o fosse nera, o fosse bianca.
Es scheint mir fast so, als ob die weißen Buchstaben in einem Bild, es aus dem einfachen Verhältnis von Format zum Inhalt befreien. Die Photographie an sich ist das Abbild einer empfundenen Realität, doch es bleibt durch seine Ränder immer noch greifbar, ist ein Objekt. Erst die noblen Lettern die ihre Formen teilen entheben es seiner einfachen Dimension. Das Auge vermag immer wieder vom Inhalt des Bildes zurückkehren auf die Formen der Lettern, wird zerstreut und kann so vergessen, dass es sich nur um eine Photographie handelt. Die Gedanken und Gefühle des Photographen entheben sich Ihrer ‘Objekt’ivität, die beiden Ebenen verschmelzen zu einem Ausdruck der Phantasie, unverrückbar manifestiert in den Tönen des Papiers und doch flatterhaft wie die Phantasie selbst. Die Buchstaben sind das fehlende Glied zu einem dreigeteilten Spiel: Objekt, Ewigkeit und Betrachter.
Il profilo della donna in modo del tutto naturale affondava nei toni grigi della carta stampata. Le lettere vi aggiungevano eternità. E così quella coppia faceva sì che l’osservatore si poteva unirsi a loro.
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